Nach jahrelangen Problemen mit seiner Exfreundin gibt Emir* seine Tochter zur Stiefkindadoption frei. Er erzählt PACH seine schwierige Geschichte und hegt Hoffnung für eine Zukunft, in der sein Kind in seinem Leben präsent sein kann.
von Natalie Ehrenzweig
Es muss die wohl schwierigste Entscheidung seines Lebens gewesen sein, als Emir sich vor etwa eineinhalb Jahr entschliesst, seine Tochter zur Stiefkind-Adoption freizugeben. Dem Entscheid gehen für den heute 34-Jährigen viele schwierige Jahre voraus. Mit der Freigabe erhofft er sich für seine Tochter und sich selbst Ruhe und vielleicht auch eine Chance für eine spätere Zukunft. Im Nachhinein ist man immer schlauer. Aber von vorn.
Wie sehr das Thema Emir aufwühlt, ist gut an seiner Stimme zu hören. Als er seine Geschichte erzählt, kommen Erinnerungen hoch, manchmal kämpft er mit der Fassung. Schon als Emir, damals 25, mit seiner Freundin, damals 21, zusammenkam, beschleicht ihn ein komisches Gefühl. «Sie sprach schon nach zwei Wochen von Liebe, dass ich ihr Traummann sei und sie mich heiraten wolle. Ich war verliebt, auch wenn ich mit der Zeit Geschichten über sie zu hören bekam. Waren die wahr?», erinnert er sich. Die junge Frau erzählt ihm damals unter anderem, dass sie eine Operation gehabt habe und nicht schwanger werden könne. Er glaubt ihr. Man kann argumentieren, dass das naiv oder bequem war. Das Vertrauen des Mannes wird jedenfalls missbraucht, denn seine Freundin wird nach einem halben Jahr Beziehung schwanger und verheimlicht ihm das zwei Monate lang. Eine Katastrophe für Emir, der ein ausgesprochener Familienmensch ist. Er wollte sich schon vor Bekanntwerden der Schwangerschaft von seiner Freundin trennen. «Wir waren kein glückliches Paar. Ich hatte damals einen guten Job, ein gutes Leben. Ich habe türkische Wurzeln, und Familie habe ich mir anders vorgestellt. Erst verlobt man sich, dann heiratet man. Und dann kommt das Kind. Es war viel zu früh für mich, wir kannten uns ja erst ein halbes Jahr», sagt er. Kurzum: Emir will einen Schwangerschaftsabbruch.
«Es hat mich kaputt und traurig gemacht. Dabei leidet ja auch unsere Tochter.»
«Ungerecht behandelt»
Heute hat er den Eindruck, dass die junge Frau das alles geplant hat. Erst willigt sie in einen Abbruch ein, dann doch wieder nicht. Die Tochter kommt im Dezember 2011 zur Welt: «Ich hatte zwei Möglichkeiten: Ich gehe und sehe meine Tochter nie wieder, oder ich versuche, mit ihr zusammenzubleiben. Ich war im Prinzip ja auch schuld.» Als Familienmensch habe er versucht, die Situation zu akzeptieren, sei umgezogen und habe gearbeitet, während die Mutter beim Kind geblieben sei. Er versucht, die Beziehung zum Laufen zu bringen. «Ich habe das alles nur für mein Kind gemacht. Doch die Mutter hat plötzlich Abstand von mir gesucht, war kalt. Ich habe gedacht, das könnte mit den Hormonschwankungen nach der Geburt zu tun haben», sagt Emir. Die Freundin sei schnell überfordert gewesen mit der Tochter, habe geweint, konnte nicht mehr. Er habe so viel, wie ihm möglich war, an Familienarbeit übernommen.
Dann entdeckt er, dass seine Freundin eine Affäre hat. «Ich habe mich betrogen gefühlt, habe gezittert. Ich wollte gehen, aber sie versteckte meinen Autoschlüssel», erzählt er aufgebracht. Er ruft die Polizei.
Emir schläft die nächsten Tage in seinem Auto, denn er ist nicht in der Lage, seiner Familie zu erzählen, was passiert ist: «Ich wollte mir nicht ihre Vorwürfe anhören. Das war einer der schlimmsten Momente in meinem Leben. Zum Glück hatte mein Chef Verständnis.» Was folgt, empfindet Emir als eine Odyssee. Die verlassene Freundin sei nicht kooperativ gewesen. «Ich bin sehr enttäuscht von den Institutionen. Ich fühle mich von ihnen sehr unfair behandelt. Zwei Jahre lang habe ich meine Tochter nicht gesehen. Niemand hat sich wirklich um mich gekümmert und mich ernst genommen. Psychisch war ich am Ende», denkt er zurück.
Als die Eltern dann doch nach zwei Jahren eine Besuchsregelung zustande bringen, darf er sein Kind zweimal im Monat treffen. «Meine Exfreundin wollte aber nicht, dass ich das Mädchen zu meiner Familie mitnehme. Auch meine Eltern sahen das Kind in dieser Zeit nicht, obwohl das so abgemacht wurde», sagt er. Bei den Besuchen eskaliert die Beziehung der Eltern so sehr, dass es zu einer Verurteilung von Emir kommt. Er fühlt sich von den Behörden ungerecht behandelt. «Ich wurde verurteilt, obwohl ich unschuldig bin. Dabei verlor ich meinen Job, ich habe Schulden gemacht, wurde gepfändet», erzählt er.
Schlimmes Gefühl bleibt
Heute ist Emirs Tochter fast acht Jahre alt. Er hat sie seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Seine Exfreundin ist verheiratet und schwanger und will Anfang 2018, dass ihr neuer Partner eine Stiefkindadoption machen kann und so rechtlich der Vater des Mädchens wird.
«Ich habe fünf Jahre lang fast jeden Abend geweint. Ich bin selbst bei meiner Grossmutter gross geworden, ich wollte nicht, dass meine Tochter so aufwächst», betont er. «Egal was passiert, sie bleibt immer meine Tochter. Sie wird später Kontakt zu mir wollen», hofft er. Die vergangenen Jahre seien schlimm gewesen: «Ich habe mich immer gefragt, wie man das alles einem anderen Menschen antun kann. Es hat mich kaputt und traurig gemacht. Dabei leidet ja auch unsere Tochter.» Vertrauen zu fassen in einer neuen Beziehung, falle im schwer.
Berater hat richtig zugehört
Sein Anwalt und sein Umfeld haben ihm zur Adoptionsfreigabe geraten. Er solle versuchen, nach vorne zu schauen, neu anzufangen. Eigentlich wolle er auch eine Partnerin finden, heiraten, Kinder bekommen. «Die Adoptionsfreigabe hat ein paar Vorteile: Ich muss keine Alimente mehr zahlen, der Streit mit meiner Exfreundin ist sozusagen vorbei, ich kann mich erholen, kann mein Leben wieder in den Griff bekommen», zählt er auf. Jedoch bleibt das schlimme Gefühl, sein Kind aufgegeben zu
haben.
Langsam kommt Emir wieder auf die Beine. Dabei hat ihm vor allem die Unterstützung und Beratung das Mannebüros Zürich geholfen. «Mein Berater war der Erste, der mir richtig zugehört hat. Er hat mir geholfen, Briefe an Behörden zu schreiben, mit den Finanzen. Er hat mir auch meine Rechte erklärt. Ohne Geld bekommt man sonst keine Hilfe», sagt Emir. Mit diesem Support schöpft Emir wieder Hoffnung: «Ich will das Beste für meine Tochter. Und egal, was passiert ist: Wenn meine Tochter später mal zu mir kommt, werde ich nie schlecht über ihre Mutter reden. Ich möchte jetzt nach vorne schauen», sagt er zuversichtlich.
«Bei Konflikten mit PACH reden»
PACH berät Eltern, die ihr Kind zur Adoption freigeben wollen.
Susanne Imper, Welche Rolle spielt der Vater in diesen Gesprächen?
Susanne Imper, Fachmitarbeiterin PACH: Oft sind sie gar nicht beteiligt, weil sie nicht wissen, dass sie Vater werden oder keine Verantwortung tragen wollen. Mütter wollen oder können in diesen Fällen nicht sagen, wer der Vater ist. In etwa einem Drittel unserer Beratungen ist das der Fall. In den Fällen, in denen die Väter involviert sind, erlebe ich sie als engagiert.
Um die Adoption durchführen zu können, braucht es die Zustimmung beider Elternteile. Was geschieht, wenn die Mutter den Vater nicht angibt?
Die Behörden haben die Verpflichtung, den Vater ausfindig zu machen. Unter gewissen Voraussetzungen können die Behörden von der elterlichen Zustimmung absehen. Das ist unter Umständen wichtig, damit der Adoptionsprozess fortschreiten kann und das Kind sicher aufwachsen kann.
Ein Kind hat aber mit 18 Jahren auch das Recht, die Identität seiner Eltern zu kennen.
Ja, das Kinderrecht wird im Falle des unbekannten Vaters übergangen. Wir raten deshalb den Müttern, den Vater bekannt zu geben. Oder zumindest an einem Ort den Namen des Vater zu vermerken, damit das Kind später eine Chance hat, etwas über die Identität des Vaters zu erfahren. Die Stiefkinderadoption ist ein Spezialfall. Dazu können wir von PACH nicht viel sagen, denn wir werden erst aktiv, wenn der leibliche Vater seine Zustimmung zur Stiefkindadoption bereits gegeben hat. Dann machen wir die Sozialabklärung des Stiefvaters. Der Vater wird nun nicht mehr angehört. Wir sprechen aber mit dem Kind. Das äussert oft Enttäuschung darüber, dass der Vater unterschreibt und seine Rechte abgibt, selbst wenn es sich die Adoption durch den Stiefvater auch wünscht.
Was bedeutet das für das Kind?
Es kann sich abgewiesen fühlen. Es fragt sich zum Beispiel, wo es hingehört, und zweifelt möglicherweise an der Liebe seines Vaters. Das Signal, das eine Stiefkindadoption für das Kind in Bezug auf seinen leiblichen Vater sein kann, ist nicht zu unterschätzen. Es ist also gut zu überlegen, ob ein Elternteil das Kind zur Stiefkindadoption freigeben möchte.
Was kann ein Vater, der seine Rechte abgibt, tun?
Grundsätzlich bleibt er ja der biologische Vater. Auch wenn er keine Rechte hat, kann er, wenn sich alle einig sind, trotzdem Kontakt zu seinem Kind haben. Gibt es Konflikte, hat er weitere Möglichkeiten: Der Vater kann etwa Briefe an das Kind schreiben oder eine Art Erinnerungsbuch mit den eigenen Gedanken führen, das er dem Kind später überreicht, wenn sich die Konflikte gelegt haben oder das Kind den Kontakt zu ihm erst viele Jahre später wieder sucht.
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