Offene Adoption: Brücke zwischen Herkunft und Familie

23. 04. 2025 | Adoption | 0 Kommentare

Anders als bei einer Adoption, bleibt bei offenen Adoptionsformen der Kontakt zur leiblichen Mutter oder zu den leiblichen Eltern bestehen. Die Eltern von Lenny* erzählen, warum sie sich für diesen Weg entschieden. Durch regelmässige Treffen wächst eine besondere Bindung, die allen Beteiligten viel bedeutet.

von Natalie Ehrenzweig

Kira* und Paul* können sich nicht vorstellen, ein leibliches Kind zu haben. «Der Klimawandel und auch die Entwicklungen des Miteinanders in der Gesellschaft scheinen uns keine guten Bedingungen für ein Kind», sagt die 34-Jährige. Es war also schon länger klar, dass die zwei ein Kind adoptieren möchten. Dass sie nicht von einem unerfüllten Kinderwunsch angetrieben wurde, habe es wahrscheinlich vereinfacht, sich auf eine offene Adoption einzulassen, vermutet Kira. Inzwischen ist Lenny seit drei Jahren ihr Sohn.

Das Kindeswohl im Fokus

Nachdem sich das Paar mit der Adoption auseinandergesetzt hatte und die offene Variante kennenlernten, sahen sie für alle Beteiligten grosse Vorteile in so einem Setting. Ähnlich ging es der leiblichen Mutter Sarah*: «Ich finde die offene Adoption die beste Option für das Kind, da es wissen kann, von wo es kommt und alle Fragen beantwortet bekommt, wenn es fragt. Die offene Adoption gibt dem Kind am meisten Optionen», erklärt sie ihre Wahl.

Sarah war noch in ihrer Ausbildung und hatte keine feste Beziehung, als sie ihre Schwangerschaft entdeckte. Dazu kam, dass diese bereits weit fortgeschritten war. «Nach dem ersten Schock habe ich mich beraten lassen und alle Möglichkeiten abgewogen. Meine Priorität war immer das Wohl des Kindes. Ich wusste, dass ich ihm nicht das Leben bieten konnte, dass ich ihm wünsche», erzählt sie.

«Ich wurde gut begleitet»

Die junge Frau wurde in dieser schweren Zeit von allen Seiten gut unterstützt. «Ich hatte grosse Unterstützung von meiner Familie und engen Freunden und Freundinnen. Ich bin meinem Umfeld sehr dankbar dafür. Auch PACH hat mich sehr gut informiert und begleitet», betont Sarah, die sich nicht nur für eine offene Adoption, sondern auch gleich noch für eine Direktplatzierung entschieden hat. Dabei überspringt das Kind die Übergangspflegefamilie. Das Kind profitiert von weniger Beziehungsabbrüchen, die Adoptivfamilie riskiert aber, dass sich die leiblichen Eltern umentscheiden und der Säugling zu ihnen zurückkehrt.

Sarah und der Vater des Kindes konnten ihre Wünsche und Anforderungen an die Adoptiveltern gegenüber der Beistandsperson äussern. «Das ausgewählte Elternpaar entspricht genau unseren geäusserten Wünschen. Uns war wichtig, dass sie offene, geduldige und selbstreflektierte Menschen sind», so die leibliche Mutter.

«Ich habe alles auf einmal gefühlt»

Zum ersten Treffen kam es gleich im Spital, nachdem Lenny durch einen Kaiserschnitt geboren wurde. «Wir waren schon nervös, aber auch zuversichtlich. Hier treffen ja Lebensgeschichten aufeinander», erzählt Kira. Auch Sarah war aufgeregt: «Es war mein Wunsch, ihnen mein Kind direkt zu übergeben. Ich habe alles auf einmal gefühlt. Ich hatte von Anfang an ein gutes Gefühl bei ihnen und war so auch beruhigt, ihnen mein Kind zu übergeben.», sagt sie.

Vereinbarung regelt Kontakt

Wie das Verhältnis ab der Geburt untereinander aussieht, regelt eine Vereinbarung. «Es wurde gemeinsam abgesprochen, wie oft und wie man sich sieht. Später kann man diese Abmachungen immer noch ändern. Am Anfang ist es aber sehr wichtig für beide Seiten, dass Klarheit herrscht», weiss Sarah. Die Adoptivfamilie und die leibliche Mutter haben vereinbart, sich halbjährlich während eines Nachmittags für circa 1,5 Stunden zu treffen. Dazwischen senden Kira und Paul immer wieder Fotos von Lenny. «Jedes Treffen ist sehr schön und vertraut. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, bestätigt sich mir das Gefühl wieder, dass sie wunderbare Eltern sind», freut sich Sarah. Die Treffen wurden erst durch die Vormundin von Lenny und später durch eine Fachmitarbeiterin von PACH begleitet. Im weiteren Verlauf können die Treffen auch ohne Begleitung stattfinden.

Gute Beziehung

Es steht viel auf dem Spiel, nämlich das Wohl von Lenny. Deshalb sind die Beteiligten sehr umsichtig und bauen ihre Beziehung sehr sorgfältig auf. Das Verhältnis sei sehr natürlich. «Wir haben Glück, dass wir uns so gut verstehen», sagt Kira. Sarah ergänzt: «Die Beziehung zu Lenny und den Eltern bedeutet mir unglaublich viel. Ich bin so dankbar, dass er so grossartige Eltern hat. Mein Herz geht auf, wenn ich den Kleinen sehe und sehe, wie viele Fortschritte er in nur einem halben Jahr gemacht hat.»

Unsicherheiten gehören dazu

Doch natürlich gibt es auch Herausforderungen für die Adoptiveltern und die leibliche Mutter (der leibliche Vater hat zurzeit keinen Kontakt zum Kind). Die Adoptiveltern mussten mit Unsicherheiten umgehen. «Auch unser Umfeld hat gefragt, was das denn bedeute, dass die Adoption offen sei. Wir haben die positiven Aspekte unseren Bedenken oder Sorgen vorangestellt und diese hervorgehoben», sagt Paul schmunzelnd. Auch Sarah kommt manchmal an ihre Grenzen: «Für mich ist der Umgang mit ihm manchmal herausfordernd. Ich möchte ihn bei unseren Treffen mit meiner Nähe nicht überfordern. Es ist wichtig, seine Körpersprache zu lesen und ihn so einzuschätzen und ihm den nötigen Freiraum zu geben, damit er zeigen kann, wenn er Nähe möchte», so Sarah.

«Sarah ist Teil unserer Familie»

Das Wohl des Kindes steht im Zentrum. «Die Vorteile der offenen Adoption wird Lenny vermutlich erst später wahrnehmen. Er kann seine Fragen direkt stellen und seine leiblichen Eltern blieben so keine Fantasiegestalten. Lenny kann selbst entscheiden, welche Art von Beziehung er mit Sarah haben möchte. Das Konzept von der Bauchmama hat der Dreijährige aber schon kennengelernt. So richtig mitbekommen hat er es nun, weil Pauls Schwägerin gerade ein Kind bekommen hat. «Für Lenny – und für uns – ist Sarah klar ein Teil der Familie. Ausserdem erinnert sich Lenny zum Beispiel an Geschenke, die er von Sarah bekommen hat und wir schauen uns regelmässig Fotos an.» Die leibliche Mutter erzähle an den Treffen kleine Geschichten von sich, wenn Lenny sie an sich selbst erinnere und sie sage: «Ich war als Kind genauso!»

Vertrauen und Kommunikation als Grundlage

Eine offene Adoptionsform benötigt das Engagement und Verständnis aller beteiligten Erwachsenen. «Man sollte sehr offen kommunizieren und ehrlich sein», weiss Kira. Gerade auch eine wertfreie Offenheit für die Situation der leiblichen Eltern sei wichtig. Sarah doppelt nach: «Kommunikation ist sehr wichtig von beiden Seiten. Zu meinem Glück ist diese sehr offen und vertraut.» Paul ergänzt, dass man sich sicher mit sich selbst fühlen, neugierig und nicht zu ängstlich sein sollte.

Sarah rät anderen leiblichen Eltern, die über eine offene Adoption nachdenken, sich gut beraten zu lassen: «Wägt für euch ab, womit ihr euch am wohlsten fühlt und womit ihr euch identifizieren könnt. Eine offene Adoption ist meiner Meinung nach die beste Alternative für das Kind. Ihr müsst euch aber überlegen, ob ihr mit dem Thema immer wieder konfrontiert werden könnt oder wollt.»

Familie ist mehr als Verwandtschaft

Kira, Paul und auch Sarah wünschen sich für die Zukunft, dass der Kontakt und das Verhältnis weiterhin so gut bleiben. «Lenny und Sarah sollen eine Beziehung aufbauen, die für sie beide stimmt. Wir wollen ihm ein Umfeld bieten, wo er sich sicher fühlt. Ich bin überzeugt, dass wir ein leibliches Kind nicht anders oder mehr lieben würden als Lenny. Wir haben gelernt, dass Familie viel mehr ist als Verwandtschaft», betont Paul. Wie Lenny später die Beziehung zwischen ihm und seiner leiblichen Mutter leben will, wird sich zeigen. Ausbleibende Antworten auf brennende Fragen zu seiner Familie sollten aber nicht zu seiner Sorge werden. «Lenny soll nie Angst haben, Fragen zu stellen und auf seine Eltern zuzugehen. Sie und ich werden immer für ihn da sein», versichert Sarah. Sie denke, dass die offene Adoption immer noch die richtige und beste Entscheidung für den Buben war.


*Name von der Redaktion geändert

Nachgefragt bei Barbara Hinnen, Sozialpädagogin bei PACH

«Beständige Beziehungen sind eine Bereicherung»

Was genau ist das Besondere an einer offenen Adoptionsform?

Offene Adoptionsformen ermöglichen den Kontakt zwischen den leiblichen Eltern und dem Kind mit seinen Adoptiveltern. Sie können auf verschiedene, für alle Beteiligten geeignete Weise, stattfinden. Allfällige Berührungsängste oder eigene Bilder werden einem Realitätscheck unterzogen und lassen keine Fantasien, Phantombilder oder grösser werdende «Gräben» zu. Das Kind wächst auf natürliche Weise mit einem realistischen Bild der leiblichen Mutter und/oder des leiblichen Vaters auf und hat die Chance, ihnen Fragen zu stellen. Geheimnisse oder Tabus entstehen so weniger als vielleicht bei herkömmlichen Adoptionen. Der Begriff «offene Adoption» umfasst verschiedene Möglichkeiten der Kontaktgestaltung, die vom anonymen Briefkontakt bis zu regelmässigen Treffen reichen. Wir sprechen daher von offenen Adoptionsformen.

Worin bestehen die Herausforderungen und die Chancen für die leiblichen Eltern?

Für die leiblichen Eltern bedeutet eine offene Adoptionsform oftmals eine grosse emotionale Herausforderung, da sie mit ihren eigenen Gefühlen von Mutterschaft oder Vaterschaft konfrontiert werden. Die Rolle der sozialen Eltern können sie nicht einnehmen. Daher müssen sie für sich eine neue Rolle definieren. Das soziale Umfeld reagiert vielleicht mit negativen Kommentaren. Auch damit müssen sie einen Umgang finden. Die Kontakte helfen dabei, den eigenen Verlust und die psychische Belastung der Adoptionsfreigabe zu bearbeiten und bestenfalls einen Heilungsprozess in Gang zu setzen. Dies ist auch auf andere Weise möglich. Zudem sind sie so ein Teil im Leben des Kindes.

Wie sieht das bei den Adoptiveltern aus?

Auf der Seite der Adoptiveltern bestehen besonders vor dem ersten Treffen mit den leiblichen Eltern Ängste und Bedenken. Beispielsweise, dass sich das Kind später einmal für die leiblichen Eltern als engste Bezugspersonen entscheiden und sich distanzieren. Obwohl diese Ängste aufgrund der spürbaren Bindung zum Kind unbegründet sind, stellt es dennoch für viele eine Herausforderung dar, sich hier zu öffnen. Die Praxis zeigt, dass eine offene Form der Adoption solche Ängste abbaut und die Beziehung zwischen Adoptiveltern und Kindern eher stärkt und vertieft. Die Adoptiveltern sind durch die Treffen früher und vielleicht auch häufiger mit den Fragen und Gefühlen der Kinder konfrontiert. Dies kann zu einer Offenheit und einer Vertrauensbasis innerhalb des Familiensystems führen, von welchem sie auch in anderen Situationen profitieren.

Die Kinder sind die Schwächsten in diesem Gefüge. Was sind ihre Themen?

Für die Kinder stellt die regelmässige Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft und der doppelten Elternschaft eine Chance für ihre Entwicklung dar. Sie kennen ihre Geschichte, lernen sie mit der Zeit einzuordnen und wachsen auf natürliche und bewusste Weise mit den verschiedenen Rollen der zwei Elternpaare auf. Die Identitätsbildung ist nicht oder weniger von fehlenden Puzzleteilen begleitet. Ihre Fragen können sie den leiblichen Eltern direkt stellen. Wichtig ist hier, dass die Erwachsenen dem Kind die Herkunftsgeschichte deckungsgleich und altersgemäss erzählen, damit sie für das Kind nachvollziehbar wird. Eine offene Adoptionsform ist keine Zauberformel und kann je nach Situation, Alter und Entwicklung auch herausfordernd für das Kind sein. Wachsen die leiblichen Eltern und die Adoptivfamilie mit der Zeit zusammen, können die soziale Zugehörigkeit und die Beständigkeit der Beziehungen für alle Beteiligten eine Bereicherung darstellen.

Wäre es nicht gut, wenn alle Adoptionen offen wären?

Offene Adoptionsformen können für die Identitätsentwicklung der Kinder hilfreich sein. Eine echte Offenheit der Beteiligten ist Voraussetzung. Wenn beispielsweise die Adoptiveltern gewillt sind, sie aber grosse Bedenken haben, kann sich dies auf die Kinder auswirken. Allfällige Bedenken und Erwartungen gilt es vorab zu klären und zu besprechen. Das Kindeswohl steht im Zentrum und die Kontakte dürfen es nicht gefährden. Bei einer Suchterkrankung, Krise oder psychischen Beeinträchtigung der leiblichen Eltern können offene Adoptionsformen eine zu grosse Herausforderung darstellen.

Wie kann PACH bei einer offenen Adoptionsform begleiten?

Die Fachmitarbeitenden von PACH arbeiten im Auftrag der zuständigen Stelle eine Vereinbarung mit allen Beteiligten aus, falls dies nicht bereits durch die Vormundperson oder die KESB passierte. Ebenso werden Briefe und Fotos in gegenseitiger Absprache weitergeleitet. Die Fachmitarbeitenden koordinieren die Treffen und begleiten sie, solange es dies braucht. Sie führen bei Bedarf Vor- und Nachgespräche mit den Beteiligten durch und stehen auch für Beratungen zur Verfügung, wenn die Treffen selbstständig durchgeführt werden.

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