Die bewegende Herkunftssuche von Matthias Böni

22. 08. 2023 | Herkunftswissen | 0 Kommentare

Erst mit 28 Jahren erfuhr Matthias Böni, dass er durch eine anonyme Samenspende gezeugt wurde – ein Schock, der sein Leben auf den Kopf stellte. Heute, fast zehn Jahre später, hat er seinen biologischen Vater gefunden. Der Weg dorthin war geprägt von Zweifeln und Hoffnung – und am Ende von einer herzlichen Umarmung, die vieles heilte.

von Natalie Ehrenzweig

Matthias Böni wuchs als Einzelkind mit seinen Eltern im Kanton Bern auf. Er hatte eine «ganz normale» Kindheit, wie er selbst sagt. Als Einzelkind hatte er freilich manchmal das Gefühl, in einer «Zweigegen-Eins»-Situation zu stecken, aber «das hätten wohl viele Einzelkinder», meint der heute 37-Jährige lächelnd. Sein Vater erkrankte an amyotropher Lateralsklerose (ALS), eine unheilbare, schwere Erkrankung des Nervensystems, an der der Vater 2006 dann auch starb. «Am Ende seiner Krankheit konnte er nicht mehr sprechen und ich hatte das Gefühl, er hätte mir etwas sagen wollen. Aber was er mir erzählen wollte, weiss ich natürlich nicht», denkt der Berner zurück.

Seine Mutter erzählt Famliengeheimnis

Nachdem Matthias Böni seine Ausbildung beendet hatte, ging er immer wieder auf lange Reisen. Als er 28 Jahre alt war – er war gerade zurück aus dem Ausland, hatte eine feste Stelle und schien seiner Mutter genug «bödelet» – beschloss diese, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen war, um ihm zu erzählen, dass er durch eine Samenspende gezeugt worden war. «Mein Vater hatte ihr im Sterben liegend gesagt, dass es nun an ihr sei, wie sie mit dem Familiengeheimnis weiter verfahren will. Dass er nicht mehr lebte, machte es ihr wahrscheinlich etwas leichter», vermutet Matthias Böni.

Anonyme Spende

Seine Eltern hatten einen sehr starken Wunsch, eine Familie zu gründen. Dies zeigt sich auch darin, dass seine Mutter drei Jahre lang mit ihrem Gynäkologen versucht hat, durch eine Samenspende schwanger zu werden. «Damals haben meine Eltern beim Arzt unterschrieben, dass sie die Anonymität des Spenders bewahren werden. Sie haben abgemacht, nicht darüber zu reden, so wie das damals auch von Experten empfohlen wurde. Für sie war immer klar: Ich bin ihr Sohn. Mit der Zeit kämpften sie jedoch mit sich, weil sie es mir sagen wollten», weiss Matthias Böni.

«Ich fühlte mich ohnmächtig»

An das enthüllende Gespräch mit seiner Mutter kann er sich nicht mehr recht erinnern. «Ich habe da ein totales Blackout. Mein sozialer Vater war verstorben. Was mache ich jetzt mit diesem Wissen, fragte ich mich damals», erinnert sich Matthias Böni. Gerade, weil die Samenspende vor 2001 stattgefunden hatte und deshalbanonym erfolgte, war klar: Eine Suche nach dem Samenspender wird sehr schwierig und würde wohl nichts bringen. «Ich war total handlungsunfähig, fühlte mich ohnmächtig. Ich habe alles rationalisiert. Ich verstand, dass das Tabu und der damalige Zeitgeist dafür sorgten, dass meine Eltern mir nichts gesagt haben. Die ersten Jahre nach diesem Gespräch passierte gar nichts und ich liess keine Gefühle zu. Dazu hatte ich auch viel Stress bei der Arbeit», erklärt er.

Suche nach dem Spendenvater

Mit einem Stellenwechsel gewann er mehr Luft, sich auch mit sich selbst auseinanderzusetzen. «Das war der Moment für mich, um eine Therapie anzufangen und endlich festzustellen, wie sehr ich darunter litt, meine Wurzeln nicht zu kennen. Meine Therapeutin hat mich dann ermutigt, mich auf die Suche zu begeben. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht mit beiden Beinen im Leben stehe, sondern auf einem Bein hinke», beschreibt er. Als Matthias Böni seine Therapie begann, wurde ihm klar, dass er seine Gefühle abgeschnitten und verdrängt hatte. So erklärt er sich auch, dass gewisse Erinnerungen blockiert sind. «Da kam auch Wut auf meine Eltern auf, dass sie mich in einer Scheinwelt haben leben lassen», sagt er.

Mutter unterstützte die Suche

Die Entscheidung, trotz allen Widrigkeiten zu versuchen, seinen biologischen Vater zu suchen, hat seine Mutter unterstützt. Der Suchprozess begann beim damaligen Arzt. Und barg für Matthias Böni viele Unsicherheiten und Ängste. Fragen stellten sich schon beim ersten Schritt: Was, wenn der Arzt keine Informationen hatte oder diese nicht herausgeben wollte? «Ich habe lange überlegt und musste mich überwinden, um ihm eine Mail zu schreiben», erzählt er lachend. Matthias Böni hatte Glück, der Arzt seiner Eltern hat sich über die Initiative gefreut und konnte ihm das damals erstellte Spenderblatt aushändigen. Dort fand er die rudimentären Informationen über seinen biologischen Vater: Augen- und Haarfarbe, Grösse, Gewicht, die Studienrichtung sowie den Beruf des Vaters des Spenders.

Spender gefunden, und nun?

Ein ganzes Jahr hat der heute 37-Jährige investiert, um seinen biologischen Vater zu finden. In alten Listen von Studierenden der Universität Zürich, in alten PTT-Archiven und auf Einwohnergemeinden hat er sich auf die Suche gemacht nach Juristen, Augenärzten und entsprechenden Namen und Adressen. Durch einen Nachruf auf seinen potenziellen leiblichen Grossvater war sich Matthias Böni ziemlich sicher, endlich den tatsächlichen Spender gefunden zu haben.

«Das war der Zeitpunkt, an dem ich wusste, dass nun nichts falsch laufen darf und ich weitere Unterstützung für den nächsten Schritt benötige: Die Kontaktaufnahme mit meinem biologischen Vater. Deshalb meldete ich mich bei PACH», erzählt er. Die Fachmitarbeiterin, die ihn in diesem Prozess begleitete, hat Matthias Böni bestärkt und ihm Sicherheit gegeben. «Ausserdem fand ich es auch gut, dass der mutmassliche Samenspender nicht von mir überfallen wurde, sondern von einer neutralen Stelle auf eine professionelle Art kontaktiert wurde», erläutert er.

Spender antwortet auf Brief

Würde der Empfänger des Briefs sich melden oder nicht? Und wenn er sich meldete: War es der Richtige? Wollte er Kontakt? Viele Fragen beschäftigten den Berner, nachdem der Brief von PACH abgeschickt wurde. Zum Glück – und das ist nicht der Normalfall – meldete sich sein leiblicher Vater Christoph umgehend und hat sich über die Kontaktaufnahme ausserordentlich gefreut. Erst haben der leibliche Vater und sein Sohn viel gemailt und telefoniert. Um sich ihrer Sache ganz sicher zu sein, haben die beiden einen DNA-Test am gerichtsmedizinischen Institut gemacht, der die Vaterschaft definitiv bestätigte.

«Wir haben uns gleich umarmt»

Nach einer Weile trafen sie sich das erste Mal in Christophs Wohnort Basel – beide gleichermassen nervös. «Ich bin jemand, der schnell Nähe zu Menschen herstellt. Er auch. Wir haben uns gleich umarmt», meint Matthias Böni schmunzelnd. Er hat noch weitere Gemeinsamkeiten entdeckt: zum Beispiel Ungeduld bei auftretendem Hunger oder die Lachgrübchen im Gesicht. Langsam nähert sich nun auch ihr jeweiliges Umfeld an. Vor einigen Wochen hat auch Matthias Bönis Mutter Christoph kennengelernt.

«Negativ war vor allem die Anonymität der Spende. Deshalb rate ich Wunscheltern, sich vor, während und nach einer Behandlung Unterstützung zu holen.»

Viel Offenheit

Überrascht war der Berner vor allem über die extreme Offenheit seines biologischen Vaters: «Er berichtet aus seinem Leben, von seinem Werdegang, über Freud und Leid, die zum Leben dazugehören. Das ist für mich natürlich toll, da ich so bereits vieles von ihm erfahren konnte». Mit mehr Geschwistern für das Einzelkind Matthias konnte Christoph aber (noch) nicht aufwarten. «Es gibt sicherlich noch weitere Kinder mit ihm als Samenspender, da er für eine Familie mehrmals als Samenspender diente. Wie viele es genau sind, da will oder kann der Gynäkologe nicht weiterhelfen – gemäss dem Frauenarzt sind es nicht mehr als
fünf, laut damaliger Richtlinie nicht mehr als acht.»

Verbindung für immer

Mittlerweile fand Matthias Böni viele Antworten auf seine Fragen an seinen biologischen Vater. Neben der genetischen Herkunft und seiner Krankengeschichte wollte Matthias Böni vor allem erfahren, wer sein leiblicher Vater ist, was für ein Mensch, was für eine Person er ist, was ihn ausmacht. Und auch, was seine Motivation für die Spende damals war. Heute nimmt Christoph eine besondere Rolle in seinem Leben ein. «Er ist mehr als ein Kollege, denn unsere Verbindung ist für immer. Jetzt ist meine Geschichte komplett. Der Kampf und die vielen Ängste der letzten Jahre haben sich gelohnt. Hätte ich meinen biologischen Vater nicht gefunden, wäre das sehr schwierig für mich geworden», betont er.

Dass er durch eine Samenspende gezeugt wurde, ist für Matthias Böni grundsätzlich nicht besonders relevant. «Aber negativ war vor allem die Anonymität der Spende», sagt er. Deshalb möchte er Wunscheltern raten, sich vor, während und nach einer Kinderwunschbehandlung Unterstützung zu holen: «Therapeuten und Fachstellen helfen bei der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Herausforderungen. So oder so bin ich aber der Meinung, dass Eltern keine anonymen Spenden annehmen und den Kindern möglichst bald die Wahrheit über ihre Herkunft sagen sollen».

Bild: Natalie Ehrenzweig

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