Chancen für Adoptivväter

28. 02. 2023 | Adoption | 0 Kommentare

Die fehlende Leiblichkeit beschäftigt einige Adoptiveltern. Doch gerade hier haben Adoptivväter einen Vorteil gegenüber leiblichen Vätern. Und sie sind weniger mit Schuld und Scham konfrontiert als die Adoptivmütter.

von Natalie Ehrenzweig

Wilhelm Busch brachte es in seinem Gedicht zum Thema «Vater» Ende 19. Jahrhundert auf den Punkt: «Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr.» Auch wenn gesellschaftlicher Wandel das bürgerliche Idealbild der Familie langsam bröckeln lässt, so zeigt beispielsweise die Forschung zu Bildern der Pflegefamilie, dass die Idee der Hausfrau und Mutter, die das Kind bekommt und sich darum und um das Zuhause kümmert, und dasjenige des Vaters, der für die Finanzen zuständig ist, vielerorts noch vorherrschend ist. Gelten die Rollenvorstellungen auch für Adoptivfamilien?

«Mein Papi ist lustig, spielerisch, streng und konsequent.»

– Tochter von Marco

Adoptiveltern sind keine leiblichen Eltern, sondern soziale. Schon der Beginn der Familie fordert die gängigen Rollenvorstellungen heraus, denn die Mutter ist nicht mit dem Kind schwanger. «Meine Frau wurde oft darauf angesprochen, wann denn nun ein Kind komme», erinnert sich Marco Nold. Seit bald neun Jahren ist er Adoptivvater
seiner Tochter. Das Paar musste sich Bemerkungen anhören, sie als kinderlose Doppelverdiener könnten sich sicher ein Skiweekend leisten. Bemerkungen, die als Witz gemeint waren, aber trotzdem verletzten. Marco Nold und seine Frau haben früh geheiratet, Kinder waren zunächst kein Thema. «Als wir dann so um die 30 waren, kamen bei vielen befreundeten Paaren die Babys. Als wir nach längerer Zeit noch nicht schwanger waren, haben wir erste Abklärungen getroffen und herausgefunden, dass es für uns beide nicht einfach sein wird, ein Kind zu zeugen», erinnert sich der Informatiker. Das Paar beschloss, auch ohne Kind glücklich zu werden, freute sich mit den Freunden und Freundinnen, die Kinder bekamen, und wurden mehrfach Götti und Gotte. Doch nach einigen Jahren wurde der Wunsch nach einem eigenen Kind wieder grösser. «Wir leben in einer glücklichen Beziehung. Ein Kind, das Tüpfelchen auf dem i, hat gefehlt», beschreibt er das Gefühl.

Das Paar informierte sich bei PACH über den Adoptionsprozess und entschied sich dafür, ein Kind zu adoptieren, das in der Schweiz geboren wurde. «Das Bewerbungsdossier war viel Arbeit. Doch gerade durch die Auseinandersetzung mit meiner Kindheit wurden mir meine Prägungen nochmal bewusst und wie sie mich heute noch beeinflussen. Und ich habe mich meinen Eltern gegenüber sehr dankbar gefühlt. Wir haben übrigens auch unsere Eltern gefragt, ob sie auch ein adoptiertes Kind als Grosskind annehmen können, was sie sofort bejahten», erzählt Marco Nold.

«Ich halte mich für einen aktiven, involvierten, emotional bewussten Vater, der so viel Zeit wie möglich in seine Familie investiert.»

– Marco (50)

Das Klischee besagt, dass es vor allem die Frauen sind, die unbedingt Kinder haben wollen. «Ich denke, auch bei uns hatte meine Frau den grösseren Initialwunsch. Sie hat mich in dieser Hinsicht herausgefordert. Doch die administrative Seite der Adoption war mein Job», sagt er lachend. «Ein Kinderwunsch wird oft erst von der Frau geäussert», erläutert Dr. Samuel Keller, Dozent und Projektleiter am Institut für Kindheit, Jugend und Familie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Dabei sei der Kinderwunsch in unserer Gesellschaft aber ein Tabuthema. «Der Wunsch entsteht innen, unbeschreibbar und emotional, und von aussen, durch Druck des Umfelds und der Gesellschaft. Von der Frau wird erwartet, Mami zu werden. Vom Mann nicht, Vater zu werden», so der Wissenschaftler. Adoptierende müssten diesen Wunsch rational begründen, das sei heraufordernd.

Die Beziehung zwischen einer Schwangeren und ihrem Kind wird erforscht. Da der Vater nicht schwanger ist, kann die Bindung zwischen Vater und Kind erst beginnen, wenn es auf der Welt ist. «Ich glaube, viele Männer müssen ein Kind erst anfassen, bevor das Vatersein real wird. Ich hatte da einen Vorteil. Ich hatte mit 15 Jahren eine kleine Schwester bekommen. Ich hatte darum keine Berührungsängste, als uns mitgeteilt wurde, dass unsere Tochter zu uns kommt. Ich war mit Babys vertraut», so der Adoptivvater. Gegenüber einem leiblichen Vater hatte Marco Nold sozusagen den Vorteil, dass die Mutter nicht schon eine körperliche Nähe zum Kind hatte. «Die Vergleichsfrage ist immer eine schwierige», so Samuel Keller. «Alle Familien fragen sich: Ist das normal? Die Körperlichkeit beschäftigt viele. Bei der Adoptivmutter wird sie als Defizit wahrgenommen. Aber für den Adoptivvater kann es einfacher sein, ein adoptiertes Kind als das seine anzunehmen. Denn bei einer Adoption ist klar, dass er nicht der leibliche Vater ist. Bei einem leiblichen Kind kann sich der Vater nie ganz sicher sein», betont er. Das erkläre vielleicht auch, wieso adoptierte Kinder häufiger Konflikte mit ihrer Adoptivmutter als mit ihrem Adoptivvater haben.

Sensibilisierter Vater

An Familien würden immer grosse Erwartungen gestellt, wie sie zu sein haben, wer welche Rolle erfülle, erläutert der Wissenschaftler: «Dadurch entstehen Gefühle von Schuld und Scham, wenn diesen Erwartungen nicht entsprochen werden kann. Mütter, die also keine leiblichen Kinder haben, sind mehr von Schuld- und Schamgefühlen betroffen als Väter. Bei ihnen wird eine Adoption schneller positiv bewertet.» An Adoptivfamilien seien die Erwartungen oft noch grösser und die Eltern stünden unter Beobachtung. «Bei Adoptivfamilien verdichten sich die Familienbilder, Adoption wirkt wie ein Brennglas», erläutert Samuel Keller.

«Mein Mann ist ein geduldiger Vater.»

– Frau von Marco (50)

Nach knapp neun Jahren als Adoptivvater sieht Marco Nold seine Rolle allerdings sehr pragmatisch: «Die Hektik des Alltags, mit der Schule und dem Turnverein, lenkt von solchen Fragen ab. Aber ich bin wohl schon ein sensibilisierterer Vater, als ich es wäre, wenn wir ein leibliches Kind hätten. Wir sind zum Beispiel im Schweizerischen Adoptiveltern-Verein (SAEV), der immer wieder wertvolle Vorträge organisiert, etwa von Bettina Bonus zu frühtraumatisierten Adoptivkindern.» So sehe er, wie sein Kind in der Schule schnell aufgebe und in dieser Hinsicht Unterstützung brauche. «Da frage ich mich schon: Ist das genetisch oder aufgrund ihrer Traumatisierung?»



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Kinder müssen spüren, dass sie gewünscht sind

Heutzutage gibt es mehr Väter als früher, die sich aktiv in der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder engagieren. Dies stellen wir auch bei Adoptivfamilien fest. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die meisten Adoptivväter präsente Väter sind. Es ist ihnen wichtig, Zeit mit ihrem Kind zu verbringen und eine tragfähige
Beziehung zu ihm aufzubauen.

Adoptiveltern werden im Rahmen der Eignungsabklärung dazu angehalten, sich bewusst mit ihrer geplanten Elternschaft und mit der entsprechenden Rolle auseinanderzusetzen und sich im Voraus zu überlegen, wie sie die Betreuung des Kindes gestalten möchten. In der Praxis zeigt sich, dass eine Vielzahl der Adoptivväter einen Tag Kinderbetreuung pro Woche übernimmt, einige wenige übernehmen mehr als einen Tag pro Woche. Einzelne Paare entscheiden sich für ein klassisches Rollenmodell, bei welchem der Vater Vollzeit auswärts arbeitstätig ist, und die Mutter die Betreuung der Kinder übernimmt. Aus der Perspektive der Kinder betrachtet, scheint es mir wichtig, dass Adoptivväter – unabhängig des gewählten Betreuungsmodells – für das Kind emotional präsent und verlässlich sind. Kinder – insbesondere Adoptivkinder – müssen spüren, dass sie von beiden Elternteilen gewünscht sind. Beide Eltern sind mit ihrem Verhalten Modell für ein Kind, und beide sollten dem Kind für die Herausbildung seiner Identität mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten zur Verfügung stehen.

Andrea Kraaz
Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Fachmitarbeiterin PACH

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