Die fehlende Leiblichkeit beschäftigt einige Adoptiveltern. Doch gerade hier haben Adoptivväter einen Vorteil gegenüber leiblichen Vätern. Und sie sind weniger mit Schuld und Scham konfrontiert als die Adoptivmütter.
von Natalie Ehrenzweig
Bevor ein Kind zur Adoption freigegeben werden kann, müssen beide Elternteile ihr Einverständnis für die Adoptionsfreigabe geben. Doch was passiert, wenn die Mutter den Vater nicht preisgeben kann oder will? Was, wenn das Recht der Mutter auf Privatsphäre dem Recht des Kindes auf das Kennen der eigenen Abstammung widerspricht? Karin Fischer, Präsidentin der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Bezirke Winterthur und Andelfingen, erzählt aus der Praxis.
«Es muss der Mutter klar sein, was sie dem Kind vorenthält.»
– Karin Fischer
Karin Fischer, wieso ist die Vaterschaftsklärung wichtig?
Karin Fischer: Wer seine eigene biologische Herkunft nicht kennt, leidet oft zeitlebens darunter. Ich habe mehrmals erfahren, was es heisst, wenn sich Menschen auf die Suche nach der eigenen Herkunft machen und es aus irgendeinem Grund nicht möglich war zu erfahren, wer der Vater ist. Es fehlt ein wichtiges Puzzleteil für die eigene Identität. Das Grundrecht, die eigene Abstammung zu kennen, ist ausserdem in nationalen und internationalen Gesetzen verankert, zum Beispiel in der UN-Kinderrechtskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Rechtlich hat es natürlich auch andere Konsequenzen: So ist ein Vater unterhaltspflichtig
und das Kind ist erbberechtigt.
In welchen Situationen werden Vaterschaftsklärungen gemacht? Was ist der häufigste Fall?
Wenn ein Kind keinen rechtlichen Vater hat oder wenn die Mutter nicht verheiratet ist und der Vater das Kind nicht anerkannt hat. Dies ist der häufigste Fall. Weniger häufig ist, dass die Vaterschaft des Ehemannes – dieser gilt von Gesetzes wegen als Vater – vor Gericht angefochten wurde.
Nehmen wir an, die Mutter weiss nicht, wer der Vater ist: Wenn mehrere Väter in Frage kommen, wie ist das Vorgehen?
Die Vaterschaft muss anhand eines genetischen Gutachtens geklärt werden, das durch das Gericht angeordnet werden kann.
Was, wenn zwar nur einer in Frage kommt, er aber unbekannt ist (z.B. one night stand, Ferienbekanntschaft etc.), wie geht dann die Kesb vor?
Wenn es nicht möglich ist, Angaben zum Vater zu erhalten, dann kann die Vaterschaft auch auf gerichtlichem Weg nicht festgestellt werden. Eine Beistandschaft macht dann keinen Sinn. Bestehen hingegen Zweifel an der Version der Mutter, wird ein Beistand oder eine Beiständin ernannt. Die Beistandsperson hat dann die Aufgabe, die Vaterschaft zu klären.
Gibt es denn Fälle, in denen der Mutter nachgewiesen werden kann, dass sie eigentlich weiss, wer der Vater ist, es aber nicht sagen will?
Wir hatten schon die Situation, dass eine Mutter sagte, dass sie den Vater kenne, sie diesen jedoch nicht nennen werde. Wir verzichten in solchen Situationen nicht auf die Anordnung einer Beistandschaft, auch wenn die Mutter dies explizit beantragt. Es ist dann die Aufgabe der Beiständin oder des Beistandes, auf die Mutter einzuwirken. Die Mutter muss verstehen, dass es um ein Grundrecht des Kindes geht und ihre eigenen Interessen zurückzustehen haben.
Schwieriger wird es wohl, wenn die Mutter den Vater zwar kennt, ihn aber nicht nennen will. Welche Gründe haben die Mütter für das Verschweigen?
Es kann sein, dass eine Mutter vom Vater unter Druck gesetzt wird und Repressalien befürchtet. Oder sie hegt gegenüber dem Vater negative Gefühle und denkt, das Kind sei besser dran ohne diesen Vater. Manchmal wollen Mütter einfach ein Kind und denken, dass es reicht, wenn sie alleine oder mit ihrer gleichgeschlechtlichen Partnerin gut für das Kind sorgt. Das ist eine kurzsichtige und egoistische Denkweise.
Wie sieht in dieser Situation die Rechtslage aus?
Das Kind hat unabhängig von den Motiven der Mutter einen Anspruch, seinen Vater zu kennen. Da zwischen Mutter und Kind in solchen Situationen ein Interessenkonflikt besteht, wird eine Beistandschaft zur Feststellung der Vaterschaft angeordnet (Art. 308 Abs. 2 ZGB). Die Beistandsperson hat dabei in erster Linie für die Feststellung des Kindesverhältnisses zum Vater zu sorgen und das Kind in der Regel auch gleich bei der Wahrung des Unterhaltsanspruches gegenüber dem Vater zu vertreten.
Wie kann die Kesb bei dieser Ausgangslage den Vater suchen?
Wenn eine Mutter den Vater nicht nennen will, dann gibt es keine Möglichkeit, den Vater zu finden. Daher wird versucht, auf die Mutter einzuwirken und das Kind in ihren Fokus zu rücken. Es muss der Mutter klar sein, was sie dem Kind vorenthält, wenn sie sich weigert, dessen Vater zu nennen.
Hat die Mutter auch die Möglichkeit, wenn das Kind schon da ist, den Vater vertraulich zu hinterlegen – wie bei einer vertraulichen Geburt?
Wir unterstützen dies nicht, weil damit keine Gewähr besteht, dass das Kind später erfährt, wer der Vater ist.
Kommt im Zusammenhang mit Adoption auch der umgekehrte Fall, dass der mutmassliche Vater einen Vaterschaftstest verlangt, vor?
Bei uns meines Wissens nicht. Wir haben jedoch sehr wenige Adoptionsverfahren.
Stimmt es, dass die Mutter bei einem minderjährigen Kind ihr Einverständnis zu einem Vaterschaftstest geben muss?
So lange sie alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge ist schon.
Was passiert, wenn sie das nicht tut?
Falls die Mutter nicht kooperiert, besteht die Möglichkeit des Kindes oder der Beistandsperson auf Feststellung der Vaterschaft zu klagen (Art. 261 ZGB). Das Gericht kann einen Vaterschaftstest anordnen.
Das Kind hat das Recht, seine Herkunft zu erfahren. Hat auch der Vater das Recht, seine Vaterschaft festgestellt zu bekommen?
Ist im Zivilstandsregister noch kein Vater eingetragen, kann der Vater sein Kind beim Zivilstandsamt anerkennen. Dies ist vor oder nach der Geburt möglich. Diese Anerkennung kann von jeder Person, die ein Interesse hat, beim Gericht angefochten werden. Das Gesetz zählt namentlich die Mutter und das Kind auf. Wenn die Eltern verheiratet sind, ist der Ehemann automatisch der Vater. Ja, ist die Mutter verheiratet, gilt der Ehemann als Vater. Der Ehemann kann dann diese Vermutung beim Gericht anfechten. Das minderjährige Kind kann die Vermutung nur dann anfechten, wenn sich die Ehegatten getrennt haben. Die Mutter oder der biologische Vater haben kein Klagerecht.
Ist es noch zeitgemäss und fair, dass die Mutter oder der biologische Vater kein Klagerecht haben?
Es ist das geltende Recht. Es ist eine gesellschaftspolitische Frage, ob dies noch zeitgemäss ist. Ob es fair ist, lässt sich nicht so einfach beantworten. Für das Kind ist wichtig, dass es die Wahrheit über seine biologischen Wurzeln kennt. Es ist jedoch auch wichtig, dass es sicher und umsorgt aufwachsen kann. Letzteres muss nicht bei den biologischen Eltern sein. Ein sicheres und umsorgtes Aufwachsen ist auch bei sozialen Eltern möglich – dazu gehören unter anderem auch Pflegeeltern und Stiefeltern.
In unserer Adoptionsvermittlungspraxis treffen wir immer wieder folgende Situation an: Ein mutmasslicher Vater eines Kindes, das zur Adoption freigegeben werden soll, ist bekannt. Er hat die notwendigen Schritte für die Anerkennung des Kindes jedoch nicht unternommen. Sei es, weil er verheiratet ist oder weil er nichts mit dem Kind zu tun haben will. Die Kesb weiss von diesem Vater. Sie verzichtet jedoch auf die Vaterschaftsklärung zugunsten einer möglichst schnellen Platzierung des Kindes bei den zukünftigen Adoptiveltern mit der Begründung, dass das Ankommen des Kindes in seiner definitiven Familie dem Kindeswohl entspreche. Ist das nicht sehr kurzfristig gedacht?
Ich kann nur für die Kesb Winterthur-Andelfingensprechen. Wir erachten das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung aus den dargelegten Gründen als äusserst wichtig. Daher verlangen wir, dass die biologische Vaterschaft registriert wird, bevor das Kind zur Adoption freigegeben wird.
Welche Empfehlungen zur Behebung des Dilemmas langwierige Vaterschaftsklärung vs. schnelle Platzierung des Kindes können Sie PACH geben?
Der Fokus muss stets auf das Kind gerichtet sein. Es soll daher so früh wie möglich mit der Klärung der Vaterschaft begonnen werden, am besten schon vor der Geburt.
Beim Ehemann gibt es ja die Vaterschaftsvermutung. Bei den modernen medizinischen Möglichkeiten (und auch in Bezug auf Kuckuckskinder) mutet das veraltet an. Wäre es nicht besser, wenn jedes Kind ein Anrecht auf einen Gentest bezüglich seiner Eltern hätte?
Jedes Kind sollte darauf vertrauen können, dass sein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung respektiert wird. Daher würde eine Sensibilisierungskampagne vermutlich mehr helfen, als standardmässige Gentests durchzuführen.
Rechtlicher Rahmen der Vaterschaftslärung
Karin Fischer, Präsidentin der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Bezirke Winterthur und Andelfingen, erläutert den rechtlichen Rahmen der Elternschaft:
Elternschaft ist eine gesellschaftliche Konstruktion, die dem steten Wandel der sozialen Wirklichkeit unterliegt. Während das Kindesverhältnis zwischen der Mutter und dem Kind durch die Geburt begründet wird, wird es zwischen Vater und Kind Kraft der Ehe der Mutter begründet (Vaterschafts-/ Ehelichkeitsvermutung), durch Anerkennung oder durch das Gericht festgestellt (Art. 252 Abs. 1 und 2 ZGB). Ausserdem entsteht das Kindesverhältnis durch Adoption (Art. 252 Abs. 3 ZGB).
Wer kann sich wehren?
Die Vermutung der Vaterschaft des Ehemannes kann beim Gericht vom Ehemann und vom Kind angefochten werden (Art. 256 ZGB). Besteht das Kindesverhältnis nur zur Mutter, so kann der Vater das Kind anerkennen (Art. 260 ZGB). Die Anerkennung kann von jeder Person, die ein Interesse hat, beim Gericht angefochten werden (Art. 260a ZGB). Sowohl die Mutter als auch das Kind können auf Feststellung des Kindesverhältnisses zwischen dem Kind und dem Vater klagen (Art. 261 ZGB).
Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung
Die Klärung der Vaterschaft ist das Recht eines jeden Kindes. Dieses Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird hoch gewichtet und hat Eingang in diverse nationale und internationale Gesetzgebungen gefunden (u.a. Art. 7 Abs. 1 UNKRK; Art. 8 EMRK; Art. 10 Abs. 2, Art. 13 Abs. 2 und Art. 119 Abs. 2 lit. g BV; Art. 268c ZGB; Art.27 FMedG).
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